Aufwändige Rekonstruktionsarbeiten für einen Hamelner Wagen des Modelljahres 1911 Von Uwe Bosselmann.

Dewezet 10.09.2007 Hameln.

Ein Fahrzeugrahmen mit zwei Achsen, ein halber Aufbau mit Sitzbank sowie einem Holzgerippe liegen auf einem Rollwagen vor dem Hefehof-Gebäude. Auch wenn der Zustand des einstigen Autos im Moment noch erbärmlich erscheint: Oldtimer-Kenner sehen in dem Rumpf den wahren Leckerbissen, bezeichnen die Reste des „Colibri Phaeton 6/15“ als beeindruckendes Zeugnis der Hamelner Automobilbaugeschichte. Und wollen ihn zum Highlight für das lokale Automuseum machen. Es handelt sich um einen Wagen des Modelljahres 1911, der einst in den Norddeutschen Automobilwerken (N.A.W.) in Hameln gebaut wurde. Mit vereinten Kräften gelingt es Reinhard Burkart, Terry Nolan und Walter Richter, das Grundmodell auf einen Anhänger zu schieben. „Dieser Colibri wird nun zum Karosserie-Betrieb Schierling gebracht, wo der Aufbau mit Blechteilen vervollständigt wird“, erklärt Burkart. „Das Fahrzeug wird originalgetreu wiederhergestellt, zum Teil werden die Maße von alten Fotos oder maßstabsgetreuen Zeichnungen übernommen.“ Das Holzskelett für den Heckbereich sei in Schweden angefertigt und von dem befreundeten Tischlermeister Helmut Schulte aus Bad Oeynhausen noch einmal überarbeitet worden. Bereits im Herbst 2001 hat der Förderverein der Fahrzeuggeschichte Hameln den Colibri erstanden. Es handelt sich um einen „Kleinwagen“ mit einem Vierzylindermotor von 1595 Kubikzentimetern und mit 15 PS Leistung. Das Auto erreichte damit früher ein Tempo von 60 Stundenkilometern. „Die Fahrzeuge aus Hameln, die ab 1908 die Hallen der Norddeutschen Automobilwerke und später Selve verließen, waren etwas teurer als die Konkurrenz“, erzählt Burkart, der dem Förderverein vorsitzt. Sie hätten aufgrund ihrer Qualität und Langlebigkeit einen guten Ruf genossen und seien besonders nach Nord- und Osteuropa exportiert worden. So konnte dieser „Colibri“ aus Schweden zurückgekauft werden. Der damalige Besitzer hatte allerdings aus dem hinteren Aufbau eine Ladefläche gemacht – deshalb sind jetzt die aufwändigen Rekonstruktionsarbeiten notwendig. „Der Aufbaukörper und die Türen bestanden auch früher aus Holz, das mit Blech beplankt wurde“, schildert Burkart. Sein Großvater, der gelernte Stellmacher Jakob Burkart, war es, der einst diese Holzaufbauten fertigte. Später wurden auf dem jetzigen Hefehof-Areal die „Burkart und Günther-Werke Hameln“ gegründet, die Karosserien für die Automobile aus Hameln lieferten. Die Norddeutschen Automobilwerke waren 1907 gegründet worden; sie produzierten ab 1908 auf dem heutigen „Körting-Gelände“ an der Ohsener Straße. Das Werk hatte vor dem Ersten Weltkrieg rund 600 Mitarbeiter. Zunächst entstand der „Colibri“ mit 3,5 PS, später auch mit 8 und 15 PS. Ab 1913 kam der „Sperber“ mit 18 und 20 PS auf den Markt. Bis zu 25000 Autos in Hameln gebaut Gut erhalten: der Kühlergrill mit dem Colibri-Schriftzug. Die Motoren wurden von den N.A.W. konstruiert und bei Guss- und Stahlfabriken hergestellt. Der Zusammenbau erfolgte in der Autofabrik, die das Chassis mit Getriebe, Kardanwelle, Hinterachse und Lenkung vervollständigte. Der Aufbau kam von Betrieben wie Burkart und Günther. Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte der Industrielle Walter von Selve die N.A.W. in Hameln und bildete zusammen mit den Motorenwerken Basse und Selve (Altena) die „Selve Automobilwerke GmbH“; ab 1922 hieß das Unternehmen „Selve Automobil AG“. Während der Weltwirtschaftskrise stagnierte der Absatz, so dass 1929 die Produktion aufgegeben wurde. „In den 21 Jahren der Automobilproduktion in Hameln verließen bis zu 25000 Wagen die Hallen“, erinnert Burkart. Wenn die Karosserie des „Colibri“ vervollständigt ist, wird sie lackiert. Ein Sattler soll danach die Lederbänke beziehen. Parallel wird das Chassis fertiggestellt. „Danach erfolgt die ,Hochzeit‘ der Teile‘‘, blickt Reinhard Burkart voraus. Er hofft, dass der „Colibri Phaeton 6/15“ im Jahr 2009 wieder die Straße unter seinen Rädern hat.